Google-Street-View bringt Arbeit
Datenverknüpfung der Renitenten



Für die Rente, für Veränderungen am eigenen Wohnhaus, für den Eintrag ins Telefonbuch, für das Fällen eines Baumes - für all das und vieles mehr muss ein Bürger in Deutschland einen Antrag stellen. Bei Google bekommt man das gegenwärtig viel diskutierte Foto seines Wohnhauses gratis. Was für eine Großzügigkeit. Google - wir danken Dir. Die Kosten werden andere übernehmen: Konzerne vielleicht, politische Organisationen. Wissen ist ja Macht! Nur die Kriminellen werden sich vermutlich drücken und nach einem erfolgreichen Bruch nichts abgeben.

Für den Betroffenen ergeben sich kaum Vorteile. Wer aus Werbegründen sein Wohnhaus im Internet sehen möchte, der stellt es mit einem originellen Foto selbst ins Internet oder beglückt direkt seine Freunde damit. Bei Google kann das fahrende Auto mit dem Multi-Kamera-Karussell auf dem Dach meist nur langweilige Fotos, die kaum zum Image eines Hauses beitragen dürften, aufnehmen.

Neu ist - wie gesagt, dass der Betroffene mal keinen Antrag stellen muss, um seinen Wohnsitz von Google fotografieren zu lassen. Er muss vielmehr einen Antrag für den Rauswurf stellen. Das ist wie Kündigung ohne Einstellungsvertrag. Der Google-Konzern beschreitet in Deutschland damit völlig neue Wege. Einfach machen. Dank Dir Google für Deine Pioniertat.

Nehmen wir aber an, der Betroffene will nicht das Foto seiner individuellen Behausung im Internet sehen. Er hat - wie hunderttausende andere Bürger - auch Widerspruch eingelegt, weil er kein simples Vorbeifahr-Abbild seines Wohnhauses im Internet sehen möchte. Was dann? Dann beginnt auch bei Google der Aufwand mit einer komplizierten Bürokratie. Verfolgen wir den Gang der Dinge im Selbstversuch: Der Betroffene stellt einen Antrag per E-Mail oder Brief an Google-Street-View. Dann bekommt er von Google eine E-Mail. Immerhin verfügen nach Analysen des Leipziger LEIF-Institutes etwa 70 bis 75 % der Deutschen über einen Internetzugang.
Was tun die restlichen 25 bis 30 %? Aber die sehen ihre Wohnung ohnehin nicht selbst im Internet und müssen sich deshalb über das hässliche Foto auch nicht ärgern. Einige haben vielleicht auch keine Wohnung.

Gut - lassen wir das. Zurück zu den Internetnutzern: Der böse Google-Street-View-Ablehner muss also in den nächsten Tagen und Wochen dieses E-Mail-Formular nach seinem schriftlich eingereichten Widerspruch ausfüllen. Dieser zweite Akt des Widerspruchs kostet ungefähr 5 bis 10 Minuten Zeit für Lesen und Ausfüllen pro Antrag für ein Haus. In diesem Formular muss sich der Street-View-Gegner outen. Er muss zusätzlich zur Adresse sein Haus bis ins Detail beschreiben. Er muss seine Anschrift mit seiner E-Mail-Adresse verbinden. Google erhält damit exzellentes Datenmaterial. Ein Schelm wer Böses dabei denkt. Dazu ein wichtiges soziologisches Merkmal: „Renitenter Bürger.“ Mehr Aufwand für den Ablehner, aber mehr Information für Google-Street-View?! So eine Verknüpfung der Daten ist goldwert.

Da wird jeder Marktforscher blass vor Neid. Aber die können ja gefälligst später die Daten von Google-Street-View kaufen. Oder?!
Doch der Weg ist für den Ablehner eines hässlichen Fotos ist noch nicht zu Ende: Nach einer unbestimmten Zeit erhält der Ablehner von Google eine Brief. Daraufhin muss der Ablehner im Internet diesen Brief mit einem Code bestätigen. Ein Aufwand ohne Ende…

Epilog:
Wo Schatten ist, da muss eigentlich auch Sonne sein… Tatsächlich - etwas Schönes hat die Sache. Endlich werden mal reiche Hausbesitzer mit mehreren Häusern bestraft. Stellen Sie sich vor, Sie hätten zehn Häuser. Dann müssten Sie zehnmal Widerspruch einlegen, dann etwas später noch zehn Formulare ausfüllen. Sie würden dann zehn Antwort-Briefe von Google-Street-View erhalten. Da wird ein Aktenordner bald voll. Sie könnten außerdem nicht schlafen, weil sie ja kontrollieren müssten, ob Google ihr Haus wirklich löscht.

 

autorisiert: Dr. Harald Schmidt

publiziert am 19. August 2010